An einem verregneten Ostersonntag betreten wir die M/V Purple Beach, unser Zuhause für die nächsten drei Wochen. Das Schiff ist mittelgroß, knapp 180 m lang und (genau wie unser Auto) Baujahr 1997. Die Kabine – eigentlich eine Suite – die wir bewohnen, ist dafür überraschend altmodisch eingerichtet, aber die ganze Seefahrt ist wohl eher etwas traditionell. Die gesamte 21-köpfige Crew ist polnisch. Der Kapitän, der hier „Master“ genannt wird, ist in unserem Alter, heisst Mariusz, und ist ein sympathischer, kompetenter und aufgeweckter Kerl, den wir sofort mögen.
Das Essen ist sehr nahrhaft, mit viel Fleisch und Würsten, Kohl und Roter Bete in allen Variationen, weichgekochtem Gemüse, und Salzkartoffeln. Nicht so richtig mein Fall, aber wenn die Mannschaft hier italienisch oder thailändisch gewesen wäre, hätte man mich nach drei Wochen wahrscheinlich vom Schiff rollen können. Außerdem ist Ryszard, der Steward, so ein lieber Kerl und immerzu rührend um uns besorgt, er rückt uns die Stühle zurecht, schleppt uns Getränke in die Kabine, und versucht uns zu verwöhnen, so gut es geht, dass ich mir herzlos vorkommen würde, wenn ich nicht auch versuchte, mit seiner Küche zu leben. Und ab und zu war es auch richtig lecker. Die sind hier jedenfalls, wie sie uns sagen, heilfroh, dass wir keine Vegetarier sind, haha, das kann ich mir vorstellen.
Ryszard ist auch für den Getränkeverkauf an Bord zuständig. Der ist nicht nur zollfrei, was unsere inzwischen doch recht ausgelaugte Reisekasse erfreut, hier wird auch noch in echten Größenordnungen gedacht. Auf unsere Frage nach Bier antwortet Ryszard, klar, ob es in Ordnung ist, wenn er die ersten zwölf Flaschen gleich bringt, und die nächsten zwölf wegen des hohen Seegangs erst morgen. Kein Problem. Der Mann ist nicht nur Pole, er ist auch palettenweisen Einkauf gewöhnt.
Wir erfahren von Mariusz, dass wir am nächsten Tag um die Mittagszeit auslaufen wollen, und dass uns dann erst mal schweres Wetter erwartet, mit mehr als sieben Meter hohem Seegang von der Seite. Irgendeine antarktische Störung, die sich hier noch auswirkt. Na, das kann ja heiter werden… Mit Seegang von der Seite kann unser Schiff, wie wir lernen, besonders deswegen nicht gut umgehen, weil es „stiff“ ist – steif. Und das liegt an der Ladung. Wir haben unter vielem anderem auch Ferrochrom geladen, irgendein besonders schweres Zeugs, das ganz unten im Kiel liegt. Überraschenderweise scheint das für die Stabilität und Balance des Schiffes nicht günstig, sondern das genaue Gegenteil zu sein. Das Schiff schlägt irgendwie härter aus, und auch schneller wieder um.
Nach dem Abendessen, zu dem hier Tee getrunken wird, verziehen wir uns mit einem Glas Wein auf unsere D-Deck-Terrasse vier Treppen höher. Den ganzen Abend gucken wir zu, wie extrem ineffizient, ungeschickt und schlampig unser und das Nachbarschiff beladen werden. Ständig werden Container hin- und wieder zurückbewegt, dann hilflos irgendwo abgestellt. Kräne warten stundenlang unbeschäftigt auf Container, LKWs fahren sich mehrfach gegenseitig fest, dann passiert wieder für Stunden gar nichts. Wir sind sehr froh, dass wir bereits mit eigenen Augen gesehen haben, wie der Container mit unserem Auto verladen wurde. So genießen wir vor der grandiosen Kapstadtkulisse mit einem Drink in der Hand das Schauspiel – beschleunigen können wir jedenfalls hier gar nichts.
Am nächsten Morgen ist Mariusz nicht froh. Die Nacht über wurde so wenig geladen, dass aus dem mittäglichen Auslaufen wohl nichts wird. Zwei Lademannschaften werden eigentlich von uns bezahlt, arbeiten aber – wenn überhaupt – vornehmlich am Nachbarschiff, dessen Container unseren dauernd im Weg stehen. In der letzten Stunde wurden gerade mal vier Container verladen – und 75 stehen noch an Land. Außerdem versucht der Kapitän beim Frühstück noch, dem Chef der in Kapstadt angeheuerten lokalen Security Dampf zu machen. In der Nacht wurden zwei blinde Passagiere an Bord aufgegriffen. Die sind in der Schifffahrt ein echtes Problem, wie wir erfahren. Es gibt praktisch kein Land, das sie aufnehmen würde, sie müssen – einmal entdeckt – auf Kosten der Reederei und in Verantwortung des Kapitäns versorgt, bewacht, und dann dahin zurückbefördert werden, wo sie sich an Bord geschummelt haben. Unser Schwesterschiff Amber Lagoon hat vor ein paar Tagen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht verhindern können, dass hier in Kapstadt ein blinder Passagier an Bord gekommen ist, und ihn kurz nach dem Ablegen entdeckt. Was dem armen Kerl offensichtlich entgangen war, war, dass die Amber Lagoon nicht wie wir nach Europa, sondern in Südrichtung unterwegs war – mit Durban als nächsten Hafen. Dort an Land gesetzt zu werden, war sicherlich nicht ganz das, was er im Sinn hatte…
Wir vertreiben uns den Tag damit, die weiterhin äußerst langsam arbeitenden Hafenarbeiter bei ihrem Tun bzw. Nichtstun zu beobachten. Außerdem grusele ich mich natürlich vor dem 7-m-Seegang. Wir werden sehen. Marc ist natürlich wieder viel cooler 😉